Feb20

Eine Sturmwoche in Cold Hawaii

Dänemark im Winter?

Was ziemlich öde klingt, erweist sich doch als überaus reizvoll. Denn jenseits des Limfjord, im Westen von Thy, verwandelt sich das rustikale Dänemark in den glitzenden Küstenstreifen namens "Cold Hawaii". Besonders in Klitmöller - einem Surferort mit Charme. Bei schlechtem Wetter, wenn es ruhig und trüb ist, strömt hier eine ganz besondere  Atmosphäre die schmale Dorfstraße entlang, vorbei an den geduckten Häusern, dem saisonal geschlossenen Fischgeschäft und den kalkweißen Gerätehäuschen der Fischer bis zum Lookout-Point mit Blick auf die Wellen, die sich am Muschelriff brechen.

 

Zugegeben: Bis auf auf den Namen "Cold Hawaii" ist hier nichts exotisch. Doch fühlt sich diese Sturmwoche an wie ein riesiges Vergnügen und die große Freiheit.

 

Ankunft am Tag Null vor dem Sturm

In der Schneise des nordatlantischen Tiefdruck-Highways läuft im Winter meist ein Wetterprogramm in Dauerschleife. Es beginnt mit grauem Himmel und Dauerregen, die Rotoren der Windräder verschwinden im Dunst der tief liegenden Wolkensuppe. Alles wirkt sonderbar ruhig als der Zeiger des Barometers unter 990 Hektopascal fällt und rasch in Richtung 980 kippt.

 

Dann frischt der Wind auf. Nachts rüttelt er an den Hauswänden. Beim Versuch einzuschlafen, hört man den Sturm mit beängstigender Kraft am Giebel zerren. Diese ungestüme Gewalt: Man spürt sie bis in den Brustkorb und schreckt jedes Mal hoch, wenn die Böen mit heftiger Wucht in die ächzende Holzverkleidung greifen - als wäre die Wand ein Segel, das sich knarzend zum Zerreißen spannt. Wie bei einer Tunneleinfahrt mit dem Schnellzug fühlt man die Druckzunahme in den Ohren und im ganzen Schlafzimmer. Das gesamte Ferienhaus ächzt und poltert in einer Tour. Und so gemütlich es auch ist: In Sturmnächten verwandelt sich das Haus in einen alten Holzkahn, der durch schwere See pflügt.  Am nächsten Morgen, beim Blick aus dem Fenster, peitscht das Dünengras  wie die Meeresoberfläche in Wellen ums Haus. Am Eingang zum Grundstück finden meine Frau und ich den Briefkasten umgeweht in der Hecke liegen.

Tag 1 und 2 bei Sturm

Den ganzen Tag, die ganze Nacht und noch einen Tag lang wallt der Sturm auf und ab. Der Strand von Klitmöller gleicht einer Steinwüste mit lokalem Sandstrahlgebläse. Davor türmen sich ferienhaushohe Wogen, die den Blick auf den Horizont verstellen. Wie eine Stampede donnern und toben sie um das Muschelriff herum und rollen wie schnaubende Schlachtrösser in die eigentlich geschützte Bucht hinein. Dort rasen die brechenden Wellenkämme frontal gegen den hier ablandigen Wind, wodurch die Gischtkronen von den Wellenkämmen nach hinten geweht werden. Es sieht aus als würden die Köpfe der anrauschenden Wellen ein Schweif hinter sich herziehen.

An der Mole von Vorupör brechen sich Wellenberge mit einer solchen Wucht, dass sie wie eine Explosion zehn, fünzehn Meter hoch schießen und in Gischtwolken zersteuben. Als begnadete Sturmjäger imponieren die Möwen. In Trupps gleiten sie wie kleine Düsenjets mit hoher Geschwindigkeit auf der Stelle. Nur wenige Meter über der Brandungsgischt balancieren sie mit ruckartigen Lenkbewegungen im Luftstrom, um dann tollkühn auf hochgewirbelte Krabben hinunter zu stoßen.

Am 3. Tag Sturmböen und bestes Fotolicht

Als der Sturm am dritten Tag nachlässt, weht immer noch ein starker Wind mit Sturmböen. Man geniesst einen Tag mit dunklen Wolken, Regengüssen und Sonne im Wechsel - bestes Fotolicht aufgrund hoher Kontraste. Aber du musst verdammt schnell sein am Auslöser, minütlich wechselt das Licht. Ein Strandspaziergang gegen den Wind verlangt einem alles ab und weiter als 300 Meter schaffen wir es nur mit viel Willenskraft - so stark bläst es und der Sand schmirgelt die Wangen und sticht in den Augen.

Ein ruhiger Tag

Am zweiten Tag nach dem Sturm ist es endlich ruhiger, eine frische Brise allenfalls und die Sonne wechselt mit Wolken. Doch hat das Licht an Klarheit und Kontrasten eingebüßt, gibt sich beinah binnenländisch und ähnelt dem Licht in Hamburg. Für Surfer der wohl beste Tag, denn den Wind brauchen sie 1000 Kilometer entfernt, aber nicht am Strand. Die Wellen kommen geordneter um das Muschelriff in die Bucht hinein. Im Abendlicht zur blauen Stunde ergibt sich hier häufig ein ganz spezielles Licht für tolle Surffotos in Klitmöller.

Nach dem Sturm ist vor dem Sturm

Doch schon am nächsten Tag startet das Wetterspiel von vorne. Es beginnt mit einem total verhangenem Regentag und das Barometer fällt. Surfer können, bevor der Wind auffrischt, auf noch sortiertere Wellen hoffen. Fotografen sollten ihre Kamera gut vor Regen schützen. Aber es lohnt sich auch an solch einem grauen Tag vor dem Sturm zu knipsen und bei Ebbe nach Strandgut zu stöbern. Abends frischt der Wind wieder auf und Sturmböen heulen den Kamin hinunter.

Wieder Sturmböen

Am nächsten Tag treibt der Wind die Wolken auseinander. An exponierten Stellen bläst es dermaßen stark, dass man die Muskeln wirklich gut anspannen muss, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Auf dem 45 Meter hohen Bulbjerg ist es nicht lange auszuhalten. Am darauf folgenden Tag legt sich der Sturm nicht etwa, sondern dreht erst richtig auf und wirbelt die an die Hauswand gelehnten Korbsessel über die Terrasse. Das Lenkrad krampfhaft festhaltend und permanent gegensteuernd verlassen wir die Gegend. Erst nach über 400 Kilometern Sturmfahrt über eine nach wochenlanger Tiefdruckserie völlig überschwemmten Landschaft verlässt man das Land zwischen Nord- und Ostsee. Und dann ist der Wind weg! Es fühlt sich merkwürdig an, das erste Mal nach einer Woche wieder ganz entspannt durch eine widerstandslose, stille Luft gehen zu können. Als wäre man nach einer Woche mit Gewichten an Armen von ihnen befreit worden und nun 10 Kilo leichter.