Feb/Mar24

Fünen - in allen Schattierungen von Grau

Über die Lillebælt Brücke geht es vom Jütischen Festland auf de Insel Fünen.
Über die Lillebælt Brücke geht es vom Jütischen Festland auf de Insel Fünen.

Vampirwetterlage

Klar! Wer Ende Februar in Richtung Nordosten zieht, der nimmt Reißaus vor dem Frühling. Uns egal, Hauptsache Reißaus!

Statt in Richtung Algarve steuern wir den Wagen also hoch nach Jütland und über die Lillebælt-Brücke raus auf die Insel Fünen. Ein total unspektakuläres Reiseziel, doch lässt sich hier außerhalb der Saison und abseits der Touristenströme vielleicht wahrhaft erfahren, wie die Dänen ticken und wie es sich dort leben lässt. Das zarte Frühlingerwachen in der milden Elbmarsch lassen wir dafür hinter uns und stellen uns wettertechnisch auf die übelsten Spielarten von Petrus, Zeus und Thor ein. Nur mit Einem hätten wir niemals gerechnet: mit Windstille!

 

Bei dieser für Dänemark extremen Witterung fühlt sich Fünen an, als betritt man ein großes Kühlhaus und zieht die Tür halb hinter sich zu. Drinnen liegt alles still versunken im trüben Dämmerlicht. Eine feuchte Kälte kriecht über die Glieder in den Körper. Die Atmosphäre, dicht und bleiern gewoben, schluckt die Töne, vernebelt alle Formen und packt unsere Sinne in Watte. Durch das Ausbleiben jedweder Reize und Anregungen von außen durch etwas Farbiges, Geräuschvolles und Lebhaftes saugt einem die Insel langsam aber stetig die Vitalität und Lebenslust aus dem Leib. Eine Vampirwetterlage!

 

Nach den ersten ein-zwei Nächten noch angenehm tiefenentspannt, versinkt man zunehmend in eine Art Dösigkeit und schleppt sich blutleer und leicht sediert durch gleichförmige, schwammige Tage. Man ist wie ein Handtuch auf der Wäscheleine, das, statt leuchtend im Wind zu tanzen und zu trocknen, einfach nur schlaff und klamm herabhängt und ewig kalt und feucht bleib. Schließlich gelingt es uns, mit zwölf Tassen Kaffee am Tag nicht völlig antriebslos wegzudämmern und diese Insel, die ein wahrer Energievampir ist, ein wenig zu erkunden.

Gelandet irgendwo im Nirgendwo. Das Ortsschild unseres Urlaubsortes trägt nicht einmal einen Namen. Der einzige Laden ist eine Eisdiele, die im Winter geschlossen hat.
Gelandet irgendwo im Nirgendwo. Das Ortsschild unseres Urlaubsortes trägt nicht einmal einen Namen. Der einzige Laden ist eine Eisdiele, die im Winter geschlossen hat.
Promenade der Stadt Middelfart mit Ausblick auf die alte Eisenbahnbrücke über den kleinen Belt.
Promenade der Stadt Middelfart mit Ausblick auf die alte Eisenbahnbrücke über den kleinen Belt.
Kontemplative Ruhe am Strand unseres Urlaubsortes ohne Namen.
Kontemplative Ruhe am Strand unseres Urlaubsortes ohne Namen.
In Ferienhäusern hängen stets Bilder der Region. Weiße Häuser, blaues Meer und Berge in Griechenland, Fischerboote, weiße Dünen und Sonnenuntergang an der Nordsee. In unserem fünischen Ferienhaus bringt dieses Bild das Wesen der Insel auf den Punkt.
In Ferienhäusern hängen stets Bilder der Region. Weiße Häuser, blaues Meer und Berge in Griechenland, Fischerboote, weiße Dünen und Sonnenuntergang an der Nordsee. In unserem fünischen Ferienhaus bringt dieses Bild das Wesen der Insel auf den Punkt.
Blick von der Terasse unserers Ferienhauses
Blick von der Terasse unserers Ferienhauses

Fünens Gruselschlösser

Fünen rühmt sich seiner vielen Schlösser und Herrenhäuser und deren blühenden Gartenlandschaften. Doch in Wahrheit wirken die rotten Gemäuer und die sie umgebenden Gehöfte und Ländereien eher suspekt bis gruselig. Weil alles in Privatbesitz ist, kann man bei den meisten nur einen distanzierten Blick über den Zaun werfen. Außerdem spukt es hier! Überhaupt ist die ganze Insel übersäht mit alten Anwesen wie Moby Dicks Rücken mit Kratern. Und von diesen steht jedes Zweite leer zum Verkauf.

 

Obwohl Dänemark im Gegensatz zu Deutschland wirklich ein modernes Industrieland ist, erfährt man auf einem Inseltrip über Fünen eine Zeitreise durch die vorigen Jahrhunderte. Da uns die Insel mit ihrer harmlosen, tiefenentspannten Nettigkeit die Energie abssaugt, nehmen wir diese Art von Lost-Place-Grusel dankbar an.

In Schloss Harridslevgaard hausten Wikinger und Könige. Zwar konnte der untote Geist des bösen Verwalters erfolgreich exorziert werden aber die "weiße Dame" geht hier immer noch um. Uns erschien sie als ein weißer Greif (siehe Bilder unten).
In Schloss Harridslevgaard hausten Wikinger und Könige. Zwar konnte der untote Geist des bösen Verwalters erfolgreich exorziert werden aber die "weiße Dame" geht hier immer noch um. Uns erschien sie als ein weißer Greif (siehe Bilder unten).
Schloss Langesø am langen See
Schloss Langesø am langen See
Eingerahmt von schwarzen Silhouetten der kahlen Bäume verkörpert die Kirche von Bogense in perfekter Weise die Schlichtheit und Strenge des protestantisch-calvinistischen Geistes.
Eingerahmt von schwarzen Silhouetten der kahlen Bäume verkörpert die Kirche von Bogense in perfekter Weise die Schlichtheit und Strenge des protestantisch-calvinistischen Geistes.

Das Meer ist weit weg

Fünen gehört zu einer Handvoll Inseln, umgeben von hunderten Inselchen und Eilanden. Das Ganze sieht aus, als hätte ein durchaus kreativer, aber im Schema des Vertrauten und Gewöhnlichen zu sehr behafteter Gott diese Inseln wie Trittsteine zwischen die kimbrische und skandinavische Halbinsel gestreut. Hinein in ein flaches Nebenmeer, das von einem Nebenmeer abzweigt und den Teil dahinter fast komplett vom lebensspendenden Mark mariner Nährstoffe abschneidet. Lediglich durch drei oder vier labyrinthische Gänge und Ritzen dringt ab und zu ein Echo des Ozeans, das dann irgendwo auf der Höhe zwischen Trelleborg und Kap Arkona verhallt. Dahinter sollte von einem Meer nicht mehr die Rede sein, sondern nur mehr von einem großen Brackwassersee.

 

Aber auf Fünen befindet man sich noch an den salzigeren Ritzen und Spalten - den so genannten Belten. Am Scharnier zwischen den hintersten Ausläufern des Kattegats (einem Abzweig vom Skagerrak, das wiederum von der Nordsee abbiegt) und der „dänischen Südsee“ – eine amphibische Welt aus kleinen, flachen, sich umschlingenden  Land- und Wasserflächen, durch die nur noch ab und zu ein marines Rauschen dringt.

 

Anders gesagt: Auf Fünen bist du im Grunde sehr weit weg vom eigentlichen Meer, weshalb diese Region - genau wie Rügen, Fehmarn oder Seeland - vor allem Urlauber anzieht, die das Meer gar nicht so sehr mögen. Auf echte Ozean-Liebhaber können Fünens Küsten deshalb verstörend wirken und quälende Sehnsucht nach echtem Meer entfachen. Trotzdem verströmt diese Welt aus verwinkelten Wassergängen und mäandernden Landzungen seinen ganz eigenen Reiz, insbesondere an ruhigen Tagen an den Lee-Seiten.

Sehnsucht nach dem echten Meer? Diese Skulptur eines abtauchenden Pottwals stellt ein echtes Highlight im Hafen Fåborg dar.
Sehnsucht nach dem echten Meer? Diese Skulptur eines abtauchenden Pottwals stellt ein echtes Highlight im Hafen Fåborg dar.
Etwas Abendlicht und absolute Windstille bringen eine spiegelglatte Wasserfläche zum Leuchten und lösen den Horizont nahezu auf.
Etwas Abendlicht und absolute Windstille bringen eine spiegelglatte Wasserfläche zum Leuchten und lösen den Horizont nahezu auf.
Blick von Middelfart auf die neue Brücke über den kleinen Belt.
Blick von Middelfart auf die neue Brücke über den kleinen Belt.
Das Schwimmbad von Fåborg wirbt damit, dass es auch im Winter geöffnet hat.
Das Schwimmbad von Fåborg wirbt damit, dass es auch im Winter geöffnet hat.

Fünens Städte

Was könnte besser zu einem grauen Himmel passen als quitschbunte Häuser! In strukturlosem Dauergrau am Himmel wirken die Farben umso intensiver. Offenbar möchten die Skandinavier dem diffusen Licht und der monochromen Blässe ihrer nordischen Umwelt etwas entgegensetzen. So gleichen Fünens Kleinstädte mit ihren leuchtenden Hausanstrichen dem eklantanten Mangel an Licht und Farben etwas aus. Besonders während der langen Winter, die sich hier teils bis in den Sommer und Herbst hineinziehen, dürfte diese visuelle Anregung den Bewohnern mental helfen. Außerdem finden die Dänen dann auch bei schlechtem Wetter und nach zu vielen Drinks leichter ihr kleines oranges, gelbes, blaues, rotes, grünes oder pinkes Haus wieder.

 

Apropo Dänen, die wir ja erforschen wollten: Auf den Fotos hier lässt sich höchst selten ein Bewohner blicken. Die Insulaner halten sich so sehr im Hintergrund, dass man sie kaum wahrnimmt. Wenn ich mich versuche, an sie zu erinnern, gelingt mir das kaum. Vermutlich wirken sie durchaus zufrieden und freundlich, doch irgendwie auch blass und wie leere Hüllen. Offenbar hat ihnen die Insel alle Energie abgesaugt.

Middelfart
Middelfart
Odense - Hauptstadt und einzige Großstadt der Insel - lässt man besser links liegen, weil es dort nichts zu sehen gibt. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Fünens Kleinstädte. Hier im Bild: Faborg
Odense - Hauptstadt und einzige Großstadt der Insel - lässt man besser links liegen, weil es dort nichts zu sehen gibt. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Fünens Kleinstädte. Hier im Bild: Faborg
Eine der seltenen Aufnahmen, auf denen ein Bewohner zu sehen ist. Bei den alten Kaufmannshäusern von Fåborg. Eigentlich auch ein Touristenort, doch kommen Touris auf Fünen nur im Sommer vor.
Eine der seltenen Aufnahmen, auf denen ein Bewohner zu sehen ist. Bei den alten Kaufmannshäusern von Fåborg. Eigentlich auch ein Touristenort, doch kommen Touris auf Fünen nur im Sommer vor.
Wärme, Licht, Kuchen und Koffein - dieses Café in Fåborg war uns eine echte Energie-Tankstelle!
Wärme, Licht, Kuchen und Koffein - dieses Café in Fåborg war uns eine echte Energie-Tankstelle!

Fyns Hoved

Ende gut - alles gut! Und das schönste Ende von Fünen heißt Fyns Hoved - eine Landzunge, die im Nordosten der Insel ein gutes Stück weit ins Kattegat hineinragt und die wir eigentlich verpasst hätten. Doch durch einen glücklichen Zufall fiel uns - wie dem glücklichen Lottogewinner - ein zusätzlicher Urlaubstag vom Himmel in den Schoß, den wir für Fyns Hoved nutzen. Und der dazu noch der erste Tag mit frühlingshaft angehauchtem Wetter ist! 

 

Auf einer kleinen Wanderung über die reizende Landpitze bei milden 9 Grad Celsius und hellem Licht preisen wir die folgenschwere Katastrophe unseres ersten Urlaubstags, als morgens die Dusche in der oberen Etage über die Wände im Erdgeschoss ablief und von der Deckenlampe in den Flur tropfte. Aus Sicherheitsgründen durften wir in diesem Haus nicht bleiben und errangen als Entschädigung ein richtig gemütliches dänisches Ferienhaus aus Holz einen zusätzlichen Tag. Dank Jimmi von der Ferienhausvermittlung, der uns telefonisch betreute. Jimi verhielt sich ruhig, freundlich, empathisch und professionell. Vielleicht sind die Dänen gar nicht so blass und still, weil sie ausgelaugt von dem grauen Winter und der reizarmen Umgebung sind. Vielleicht sind Sie einfach nur ruhig, freundlich, empathisch und professionell.

Keine Ahnung ...

Fyns Hoved - der exponierteste und landschaftlich schönste Ort der Insel.
Fyns Hoved - der exponierteste und landschaftlich schönste Ort der Insel.
Grüne Hügel und eine kleine Steilküste an Fyns Hoved
Grüne Hügel und eine kleine Steilküste an Fyns Hoved

Kleine Bild-Gallerie