Mit einem 82er Lada die erste Stadtrundfahrt vom Airport ins Zentrum und alles ist wunderschön. Die milde Wintersonne der Randtropen lässt Alleen und Vorgärten hellgrün leuchten. Zwischen wundersamen Urwaldbäumen und Königspalmen, vorbei an friedlich dösenden Vorstadtsiedlungen mit ihren Flachbauten treiben wir in einem sanft sprudelnden Verkehr dahin, dösen, rauchen, relaxen - mellow mood. Die Polizei zieht uns aus dem Verkehr und vertreibt mit ihren humorlos musternden Blicken die wohlige Entspanntheit. Als würden Sie uns sagen: Dies ist ein Überwachungsstaat, macht hier keine Faxen und gute Weiterfahrt. Übrigens sitzen wir in einem Quiz-Taxi. Der Fahrer testet unser Oldtimer-Kenntnisse: "Kennt Ihr dieses Auto?... Chevrolet Baujahr 59... Und das dort? ...54er Ford und da ein 55er Buick, kennst du Buick?" Kenne ich nicht, aber den Wolga dort kenne ich noch aus DDR-Zeiten. Freut mich irre, so viele Wolgas zu sehen.
Aber vor allem sind es diese ausladenden 50er Jahre Ami-Karossen, verbeulte Schlachtschiffe aus einer anderen Zeit, die so ruhig und behutsam um die Schlaglöcher bugsieren wie eine Karawane Elefanten. Sieht man mal so einen vereinzelten Oldtimer zu Hause, wirkt der wie ein geschmücktes Zootier, während sie hier in erstaunlich großer Population überlebt haben. In freier Wildbahn sozusagen. Hier dienen sie noch als echtes Transportmittel. Allein dieser einzigartige Anblick lohnt eine Reise nach Kuba, das gibts nur hier und ich könnte stundenlang am Staßenrand stehen und sie beobachten. Fast hätte ich gehofft, dass unser Hotelzimmer zu einer großen Straße raus ist.
Der erste Eindruck: beeindruckend und keine Zweifel: Havanna liebt uns. Doch schon am nächsten Morgen kippt die Stimmung, erwacht die Stadt in einem anderen Licht und verschwört sich gegen uns.
Zuerst gar kein Wasser, dann eine rostbraune Brühe und die Dusche fällt aus bis uns ein gefühlter Eisregensturm samt Frühstück von der Dachterasse fegt und das Schlimmste: Suses fiebrige Erkältung kommt wieder durch.
Kraftlos in den Ledersesseln der Lobby hängen. Kaffee trinken, der hier 75! mal soviel kostet wie im Stehkaffee um die Ecke. Schwindelig vom Gewusel der Reisegruppen, die hier wegen Hemingway wie am Fließband durchgeschleust werden. Der hallende Lärm pocht in den Schläfen. Ich becirce den Liftboy, um zwei Regenschirme zu bekommen, mehr nicht. Und Suse bereut schon seit unserem Einzug die Wahl dieses Hotels.
Hotelkritiken sind nicht meine Intention, aber das "Ambos Mundos" zählt zu der Sorte, wo du auf dem ersten Blick siehst, weshalb es einst soviel Sterne bekam. Und dich auf den zweiten Blick fragst, warum es diese behalten durfte. Eines der seltenen Vier Sterne Häusern, bei denen es schonmal durchregnet während fließend Wasser ansonsten eher Glücksache ist. Die Rezeption ist mit einer dieser Ein-Sicht-Scheiben verglast, solche wo man von außen hineinschauen, lauthals rufen und wild gestikulieren kann. Aber von innen ist es ein Spiegel, so dass die Rezeptionisten einen gar nicht wahrnehmen können. Da kann man auch gleich zu diesem urtümlichen gepanzerten Fisch mit Hundeaugen gehen, der unter den Hemingway Fotos in Zeitlupe durch sein Bassin driftet und ihn fragen, ob man ein anderes Zimmer bekommen könnte. Eins mit Fenster bitte.
Warum ich ausgerechnet in diesen überteuerten Affenkäfig namens Ambos Mundos wollte? Na weil das näher am wahren Kuba ist, weil es super zentral liegt, eine tolle Dachterasse hat und weil hier Hemingway schräg über uns wohnte. Allerdings würde der wohl heutzutage sofort ausziehen (und er ist es ja damals schon), um in einem Fünf-Sterne-Hotel oder im modernen Vedado oder Miramar zu residieren. Hätten wir auch machen können. Doch fand ich das langweilig und irgendwie auch feige.
Aber feige darf man nicht sein. Doch sind wir angeschlagen, dem Kulturschock ausgesetzt. Draußen in den Straßen des Touri-Viertels ein kleiner Krieg. Die Habaneros weichen kein Stück, rennen uns über den Haufen, überfahren uns. Alle 50 Meter wegen scheiss Zigarren angehauen werden. Von zerfurchte Hände angebettelt, von krummen Fingern angefasst. Als wir zwei Frauen nach dem Weg fragen, scheuen sie, geben ängstlich um sich blickend bescheidene Auskunft. Ein Kind, dem wir eine Limo kaufen ist noch ganz niedlich, ein zweites schon einen Schritt weiter. Es will erst von uns ablassen, wenn wir Kohle rausrücken und überreizt damit unsere blank liegenden Nerven. "Mensch verpiss dich... Sollen wir die Polizei rufen! ... So wir rufen jetzt die Polizei." ..."Polizei!" Dann endlich kriegt es Angst und schreit uns flennend hinterher "Ihr seid böse!!" Und als Kind meint es das auch so. Meingott das ist ein kleiner Junge. Was ist los mit uns? Wie konnte es bloß soweit kommen???
Erschöpft drücken wir die Pausentaste drücken, lassen uns auf der Mauer vor einem Denkmal nieder. Doch nun kommt tatsächlich die Polizei und ermahnt uns aufzustehen.
Ein alter Mann will uns die Altstadt zeigen. Ich sage: die Altstadt kennen wir bereits. Darauf der Alte: "Haha, gesehen habt ihr sie, aber kennen tut ihr sie nicht!" Wie recht er doch hat.
Alt-Habana, ist einer dieser Orte wo sich Touristen und Einwohner grundsätzlich auf die Nerven gehen. Zwei Währungen, Zwei Klassen und die Schuldfrage blabla, kann sich jeder denken, aber vorstellen muss man sich mal diese eklige Fahrstuhl-Szene mit den Kanadiern.
Es ist zwölf Uhr Mittags, da steigen vier fette, veschwitzte Nordamerikaner in den Fahrstuhl. Eine Alkoholfahne wie eine halbe Piratenarmee im Schlepptau. Luft und Platz werden knapp und dann steigt dieser üble Furz, ein Schiss der fiesesten Sorte, unleugbar und alles überlagernd. Gelächter bei den vier Kumpanen. Bei mir die beklemmenden Gewissheit, dass der Fahrstuhl Baujahr 1926 eine halbe Ewigkeit von der sechsten bis ins Erdgeschoss braucht. Doch plötzlich stoppt der kubanische Liftboy schon in der vierten, wirft einen verachtenden Blick, steigt unerlaubt aus, schließt die Gittertür von außen, lässt uns in dem Mief allein hinab. Wirklich cool von ihm. Aber das Eigentliche und wirklich Schlimme an der Sache: Der fette Stinker hat sich vierfünfmal bei mir entschuldigt, aber mit keiner einzigen Geste beim Lift-Boy. Bloß raus aus dem Fahrstuhl, tief durchatmen und mich fremdschämen.
Scheiß auf diese Kanadier! Es ist Zeit für einen Spaziergang auf dem Prachtboulevard - dem Prado. Eine Flaniermeile. Von prächtigen Allee-Bäumen überdacht und in ein lauschiges Lichtkegel-Schattenklecks-Muster getaucht. Der Prado präsentiert sich heute als Open-Air-Galerie für teils ernstzunehmende Künstler. Da sitzt auf einem Bild Fidel Castro auf einem bröckelndem Thron, starr und leblos, nur noch von Spinnweben zusammengehalten. Na, wie lange noch?! Wer weiß, vielleicht kauft in zehn Jahren eine texanische Touristin dieses Bild und sagt: "Wow! Das ist doch dieser ähh... Theodon, der König von Rohan aus Herr der Ringe Teil II. Habt ihr auch Gandalf?"
Direkt hinter Castros Bild steht Castros Erbe. Wir blicken in die zerlöcherten Schluchten von "El Centro" und halten den kubanischem Auspruch: "Jeden Tag stürzt in Havanna ein Balkon ab" jetzt nicht mehr für übertrieben. Wahrscheinlich ist noch nie irgendwo auf der Welt ein Stadtteil so lange und umfassend gealtert und verfallen. Zumindest nicht so irreparabel und nachhaltig. Ausnahmslos jede Wand an jedem Haus in jeder Straße komplett zernagt, nur noch ein poröser Schatten, ein gesplittertes Spiegelbild seiner einstigen Herrlichkeit. Das Ganze ist zum Heulen. Aber es ist auch so spektakulär, dass ich dort quer durchmaschieren will, mit meiner Kamera im Anschlag - gerade jetzt, wo nach dem Regen die Pfützen in den Schlaglöchern so fotogen schimmern. Aber Suse ist das zu unheimlich und am hellen Ende des Prado locken der Ozean und der Malecon.
Wir kennen die Bilder des Malecon aus dem Fernsehen. Wie bei Sturm die Brandung über die Promenade bis auf die Straße schwappt und funkelnde Gischtwolken in die alten Fassaden treiben während die Oldtimer unten entlanggleiten - ein wildromantisches Klischee-Bild. Doch als wir dort ankommen ist es haargenau so. Der Beweis, dass die Wirklichkeit manchmal doch der Vorstellung entspricht.
Hier führen wir auch das erste Gespräch mit einem Kubaner, der mal nicht für uns arbeitet oder was verkaufen will - keine Hintergedanken. Ein Junge aus der Vorstadt, der eine Ausbildung zum Lagerist macht. Man freut sich beiderseits etwas von dem Fremden zu erfahren, ist interessiert, lacht, verabschiedet sich und hat sich bereichert - einfach durchs Zuhören. Sicher ist der Malecon der beste Ort für solche Begegnungen, der schönste ist er allemal.
Hey Leute, wir sind in Havanna und jetzt wollen wir endlich zur Musik, denn am ersten Abend ging es nicht. Da war uns schlecht vom miserablen Essen, woraufhin wir uns mit einer Flasche Havanna Club auf dem Zimmer kurieren mussten und ich heute mal diesen kubanischen Witz loswerden will:
Was sind die drei größten Errungenschaften der Revolution in Kuba?
Bildung, Gesundheitssystem und die Agrarreform.
Und die drei größten Misserfolge? Frühstück, Mittag, Abendessen.
Und von dem schlechten Essen kann man sich leider auch als Tourist nicht immer freikaufen.
Aber zurück zur Musik:
ChaCha, Rumba, Mambo, Salsa und Timba sind wohl der Schwof für die Alten und Gesetzten. Die Jugend arschwackelt zu einem nervtötendem Gezänk ohne Melodie namens Regueton. Doch für uns zählt einzig der 'Son' der damals im Social Club von Buena Vista lief. Dieser reiche, goldene Stamm aller kubanischen Musikstile ist in freier Natur im Grunde längst ausgestorben und nostalgisch. Doch treibt der Son in Havannas Altstadt seine untoten Blüten, seitdem er von Ry Cooder und Wim Wenders wieder ausgegraben und blankpoliert wurde - für die Welt, für Kuba, für uns.
So betreten wir eine dieser 24 Stunden Live-Musik-Bars der Altstadt, das La Dichiosa. In der Ecke stehen drei Greise. Wie aus einer anderen Zeit herein gebeamt, verharren sie reglos und versteinert mit leeren Gesichtern und werden jeden Moment zu Staub zerfallen. Doch von diesen Figuren geht eine Musik aus, die so emotional, so verspielt, so gekonnt ... unfassbar! Wie Marionetten, ferngesteuert. Visuell wie totes Holz. Doch akustisch höchst lebendig. Und keiner spendet Beifall, niemand hört zu. Dabei ist der Laden voll. Voller Ignoranz. Müde Blicke der Musiker.
Entgegen dem Trend klatschen und jubeln wir nach jedem dieser helldunkel ergreifenden Lieder. Als der Gitarrist auftaut und sich mit uns freut, sind wir erleichtert. Erfahren, dass greisen Meister des Son hier Zwölf-Stunden-Schichten schieben müssen.
Die Stimmung bleibt mau und drei bis vier Cuc für einen Drink sind zuviel für Kubaner, die ab und zu draußen am Gitter verharren, von wo aus sie traurig und fern zur Band blicken. Trotzdem sitzt neben uns der einzige kubanische Gast des Abends. Durfte rein, weil er der Freund vom Barkeeper ist. Wir geben ihm einen Mojito aus und er erzählt, welche Läden bei den Habaneros angesagt sind. Dass er gleich noch arbeiten muss in einem Club und dass Kubaner nie verstehen werden, warum die Touristen nicht tanzen.
Nächster Tag, neue Location und es tanzen doch noch welche.
Es handelt sich um zwei ungleiche Paare - olle Schrullen mit ihren Lovern auf Zeit.
Man kann ja über gekaufte Affairen die Nase rümpfen. Aber wenigstens tun diese Frauen etwas. Anstatt verbittert in düsterer Heimat vor sich hinzuwelken und ihre Umwelt noch grauer zu machen, blühen sie hier in Havanna auf. Wollen glänzen, sehen deshalb besser aus (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) und sorgen dafür dass getanzt wird. Auch wenn die Habaneras hinterm Gitter verächtliche Blicke werfen, für die Stimmung im Laden sind die Tänzer ein Segen. Und wir kaufen gottseidank eine CD dieser Soneros, denn die Aufnahmen sind Weltklasse, so live so direkt. Buena Vista Social Club klingen auf ihrem Album blass dagegen. BVSC spielen übrigens nachher live auf der Plaza, wird uns zugetragen. Wow! Müssen wir hin!
Auf der Plaza das umgekehrte Bild: hier sind wir Touris die Zaungäste hinter der Absperrung. Davor einige der oberen 10.000 Habaneros. Fürstlich speisen sie an Tischen und goutieren nebenbei mit vornehmer Reserviertheit den Auftritt der berühmtesten Band ihres Landes.
Im Nachhinein weiss ich nicht, ob es daran lag, dass mit Compay Segundo, Rubens Gonzales und Ibrahim Ferrer das Herz des Ensembles fehlte (alle verstorben) oder ob mein Herz beim zahnlosen Lächeln des Gitarenopas aus dem "la Dichiosa" hängenblieb - unsere Begeisterung hielt sich jedenfalls in Grenzen.
Tja, die Musik ist toll hier. Es heisst ja so schön, dass Musik die Menschen verbindet - doch manchmal kann sie auch trennen.