Naxos-Stadt ist die interessanteste Siedlung der Kykladen, weil man hier genau das findet, was man in den schmucken Gassen der Touristenorte vergeblich sucht: Griechenland - das Alte und das Neue!
In Naxos-Stadt laufen Sie dir plötzlich alle über den Weg: die antike Prominenz, die Herren Zeus und Dionysos mit ihren Tempeln und dem Wein, die coole Jugend mit knatternden Mofas, Touristen mit wenig Geld, alte Seefahrer mit noch weniger Geld aber mehr Humor und die Venezianer - auf den anderen Inseln staubige Historie - stehen hier plötzlich leibhaftig vor dir!
Kaum auf Naxos angekommen, stürzten wir uns voller Vorfreude ins Getümmel der Hauptstadt. Doch je höher wir den Altstadthügel hinaufkamen, umso merkwürdiger die Szenerie.
Und dann müssen wir einmal falsch abgebogen sein und es war passiert. Wir befanden uns plötzlich im Inneren, umzingelt von Ruinen und verlassenen Häusern. Die Geräusche der Stadt und selbst das Sonnenlicht wurden verschluckt von dicken Burgmauern und Torbögen.
Das Kastro-Viertel hat keine hübschen Gässchen sondern dunkle Gänge. Keine Cafés, keine weißgetünchte Wände, keine Menschen. Im Mittelalter herrschten von hier aus die stolzen Venezianer über ihr ägäisches Inselreich, doch seit gut 2 Jahrhunderten herrscht hier nur noch der Zerfall und Niedergang!
Hier hat schon schon lange kein Kind mehr gespielt, die Stimmung ist gedrückt, Lachen verboten! Alles schien uns erloschen und zu Staub erstarrt, doch plötzlich sahen wir einen Venezianer mit 2 Einkaufstüten in gebückterter Haltung vor uns entlang huschen. Zu schnell für unsere Kamera verschwand er - wie die Maus in ihrem Loch - in einem dieser mumifizierten Hauseingänge, an der Tür ein Familienwappen mit der Aufschrift: "sustine et abstine!", zu deutsch: "Halte aus und halte dich fern!". Und getreu diesem Motto verschanzen sich hier doch tatsächlich die letzten Nachfahren venezianischen Adelsgeschlechter. Völlig abgesondert vom griechichen Volk und dem lebendigen Teil der Stadt, trotzen sie der Zeitenwende in ihren morbiden, dunklen Palästen mitten in der Stadt - unglaublich!
Dafür, dass Naxos weniger touristisch sein soll als Paros, war es ganz schön ausgebucht, so auch unsere Top 5 der Wunschunterkünfte in der schönen Altstadt. "Was tun sprach Zeus, die Götter sind durstig" und wir brauchen eine Unterkunft!
"Wenn Sie am Tag nicht mehr als 200 Meter zurücklegen wollen, um den mittelmäßigen Strand, die Pizzabuden und Supermärkte zu besuchen, dann empfehle ich Ihnen das überaus uncharmante Neubauviertel Agios Georgios im Süden der Stadt." hörten wir die Frau von der Zimmervermittlung sagen, die es ehrlich mit uns meinte.
"Nicht?! ...dann hab ich hier was für Sie ganz im Norden, der Stadtteil heißt "La Grotta" und ist besser als Sie jetzt vom Namen her vermuten, ist gleich um die Ecke."
So landeten wir in diesem Häusernest, das exaltiert gelegen auf einem Felsen in der Brandung den Meltemi-Winden und der salzigen Gischt trotzt. Die Grotte befindet sich unten am Felsen und soll voll mit 6000 Jahre alten Marmorsäulen sein, weshalb man hier gräbt.
Wir brauchten nur über den Parkplatz mit den vom Salz zerfressenen Autos (ohne Garage ist deine Karre hier fix durchgerostet) dann über ein Geröllfeld, dabei nachts aufpassen, dass wir uns nicht die Haxen brechen oder von der Klippe stürzen, am Ende noch einen Betonweg mit 25% Steigung erklimmen, zur Not auf allen Vieren (hab mich nicht getraut hier mit dem Mietwagen langzufahren), danach im Treppenhaus an der Wohnung unserer Vermieterin vorbeischleichen und schon waren wir in unserem Zimmer, dass wohl kaum der Rede wert war - aber diese Riesenterrasse!
Von La Grottas Terrassen genießt man den imposanten Blick auf den Festungshügel, den Hafen und vor allem auf das Tempeltor.
Das Tempeltor ist "made in good old Greece" und ein Einzelstück aus massiven Marmor mit den Maßen 5x7. Es handelt sich hierbei um den letzten Restposten eines einstigen Freiluft-Selbstbedienungs-Baumarktes und es war wohl schlichtweg zu schwer für den venezianischen Selbstabholer. Mittlerweile ist das Tor Naxos' Wahrzeichen unantastbar.
So steht es hier einfach nur da und ist schön.
Und wem das nackte Tempeltor nicht reicht, dem erzählt man, dass dies der letzte Teil eines Tempels ist, der ein Geschenk von Dionysos an die schöne Ariadne war, die der alte Lustmolch dem Athener Königssohn Theseus irgendwie abgenötigt hatte - und das obwohl Ariadne sich auf Kreta in Theseus verliebt und vor dem Ungeheuer Minotaurus gerettet hatte, dem Theseus natürlich als Blutopfer dargereicht werden sollte, woraufhin Theseus sich auch in Ariadne verliebte und sie von Kreta ins hippe Athen mitnehmen wollte, aber hier auf Naxos Rast machte - sein Fehler - und so die Geschichte.
Nun, wir teilen Ariadnes Schicksal, bleiben noch auf Naxos hängen und trinken präventiv einen Wein, um Dionysos zu besänftigen.
Nachts hätte ich mich am liebsten auf die Palatia zum Tempeltor geschlichen und dort folgenden Satz hineingemeißelt: "Theseus du Mistkerl! Hast mich hier auf Naxos sitzenlassen bei diesem lüsternen, alkoholisierten Ziegenbock!" - Unterschrift: "A."
Griechen gelten gemeinhin als faul und bequem. Da kam Suse auf die Idee, eine geführte Bustour über die Insel zu kaufen. "Zum Teufel mit dem Selberkümmern um Mietwagen, Reiseroute und alkoholfreiem Bier. Sollen doch die Griechen mal für uns arbeiten!"
Im wohligen Halbschlaf ließen wir die sanft ansteigende Hügellandschaft des lieblichen Inselwestens an uns vorrüberziehen und ahnten nicht, dass diese Bequemlichkeit noch ihren Preis haben wird. Gerade wollte ich die Käsecracker herausholen, da stoppte der Bus und wir mussten irgendwo in der Tragäa Hochebene aussteigen, uns Töpferware anschauen und dabei bösen Blicken ausweichen, weil wir nichts davon kaufen wollten. Venizianisches Kastell hier, alte Kirche da, irgendwo in Chalki wurden wir in die dunklen Gemäuer einer Schnapsbrennerei gelockt, die seit dem 18. Jh. nicht mehr modernisiert worden war. Aus Blättern und Früchten des seltenen Zedratbaumes machen die hier 3 Sorten Likeur. Grünen Kitron (süß) kauften wir als Mitbringsel für Mutti, gelben Kitron (herb) für den Papa und den Weißen (medium) tranken wir selber, yammas und zurück zum Bus.
Apirantos ist hoch gelegen in den Bergen der Inselmitte und komplett aus Marmor gebaut. Die Menschen hier sind alle uralt, zahnlos und so beruhigend wie die Natur drumherum. Dabei strahlten sie eine Zufriedenheit aus, die uns genommen wurde, weil unser Reiseleiter Dimitri uns nach nur 40 Minuten zurück zum Bus scheuchte, um uns anschließend in einem Kaff an der Nordküste abzuladen, wo wir 3 Stunden Zeit totzuschlagen hatten. In Appolonia gab es 3 Tavernen und sonst gar nichts - nichteinmal Straßenköter.
Vor 3000 Jahren muss hier mehr los gewesen sein, denn da hatte man aus einem nahen Steinbruch gigantische Jünglingsstatuen gehauen. Zu unserem Glück liegt da immer noch ein 11 Meter langer unfertiger Klotz herum, und verleiht diesem idyllischen Ort mit schönen Ausblick eine besondere Atmosphäre. Leider störte eine Reisegruppe, zu der wir ja selber gehörten, sonst hätten wir hier gepicknickt und uns gefragt warum die Hellenen diese Statue unvollendet ließen. Waren die Griechen vor 3000 Jahren eventuell faul und bequem geworden?
Wenn es um Kirchen geht, können die Griechen weder faul noch egoistisch sein, denn egal an welchen Ort wir kamen, die schönsten Plätze mit den besten Ausblicken haben sie stets den Gotteshäusern vorbehalten.
Am eindrucksvollsten zeigt sich das in der Landschaft bei Filoti.
Dort ragen Bergkegel aus einem weiten Talkessel dessen Zipfel von je einer Kirche gekrönt sind.
Aber warum soviel Mühe und Arbeitsqual? Erst die ganzen Steine hochschleppen, und dann zum Gottesdienst sich dort selber hochschleppen?
Ein Grieche erklärte uns, dass jede Kirche einem anderen Heiligen gewidmet sei und an einem bestimmten Tag im Jahr - dem Geburtstag dieses Heiligen- Pilgerziel bzw. Zentrum einer Feier wird. Das erklärt vielleicht warum die so viele Gotteshäuser haben, denn so vergeht ja kaum ein Tag, an dem nicht an irgendeiner Kirche gefeiert werden kann.
Da der Göttervater Zeus nicht nur ein paar Urlaubstage sondern seine ganze Kindheit auf Naxos verbrachte, heisst der höchste Berg Zas (Zeus). Eigentlich wollte ich ihn an einem sonnigen Vormittag zwischen 2. Frühstück und Kaffetrinken besteigen, aber da es selbst den orthodoxen Naxoten wohl zu mühselig war dort Steine für eine Kirche hochzutragen und Suse die Kraxelei auch nicht erfunden hat, ließen wir den Gipfel in Ruhe. Doch zumindest bis zur legendären Zeus-Höhle an der vor Marmor weiß glitzernden Flanke des Massivs wollten wir vordringen. Sie gilt als sein Geburtshaus und dort gibt bestimmt was zu sehen oder zu spüren...
Doch mit diesem theoretisch mystischen Ort wo bestimmt so einige Götter mit ihren Groupies sagenhaft hedonistischen Orgien begangen, hält Naxos auch seine größte Enttäuschung parat. Plötzlich standen wir in der unspektakulärsten Höhle überhaupt. Der Eingang mit Mauersteinen blöde eingefasst, drinnen dann Uringeruch und nach zweidrei Metern Bauschutt und scheinbar Höhlenende. Statt antike Scherben von Wein-Amphoren fanden wir leere Wasserflaschen aus Plastik. Nun, was hatte man denn erwartet?! die alten Zeiten sind endgültig vorbei, die Götter nicht mehr hier, sind nur noch werbewirksame Ausschmückungen von Griechenland-Reiseführern. Wir gehen zurück zum Auto.
Das moderne Naxos hat eine Küstenstraße mit Feriensiedlungen wie überall. Auf den letzten Kilometern bis Plaka-Beach schaukelt der Bus dann allerdings über unbefestigte Erdpiste. Surfer, Wohnmobilisten und FKK-Bader dringen hier an der Westküste mit den schönsten Stränden noch etwas weiter nach Süden vor aber ansonsten ist der südliche Teil der Insel komplett unbewohnt - niemand will hier leben.
Zurück nach Naxos-City, essen gehen bei Nikos, hier ist was los: perfekter Service, korrekte Preise und neben den Sardinen ein 3 Meter langer Hai, worauf der stolze Kellner erzählt: "Ging weit draußen in 600 Meter Tiefe an Haken und nach 2 Tage Schaulaufen in Eisvitrine können Sie ihn finden auf Tageskarte".
Besser als die Zeus-Höhle und eine Alternative zu dem ganzen Kulturkack ist eine abendliche Shoppingtour in der Altstadt. Hier gibt es haufenweise Mineralien- und Fossilienschmuck aus der ganzen Welt, Wollpullis aus Nepal gegen die unverschämte Septemberkälte, redseelige Verkäufer, kubanische Musik usw. Die Mischung der Leute, die sich hier herumtreiben, ist so bunt, dass uns der Tourismusbetrieb hier nicht im Ansatz auf die Nerven geht. Auf Naxos ist einfach noch Platz für alle.
So schön Naxos auch ist, wir müssen weiter, zur spektakulärsten Insel der Kykladen.
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