Aber hey! Kein Vulkan brodelt heißer als unser Sylt! Und nichts, was ich hier schreibe, ist ausgedacht. In Westerland brennen 16 Strandkörbe lichterloh und ein Cabrio. Einfach angezündet! Eine Woche nachdem Touristen wieder auf die Insel dürfen. Und in der Fußgängerzone soll jeder auch draußen eine Maske tragen, wenn es nach den Willen der Inselverwaltung geht. Oje, wer sowas verlangt, der fackelt nicht lange . Als wir von der Fähre rollen, leuchtet uns zwar in großen Lettern ein " Willkommen auf Sylt" den Weg vom Lister Hafen, aber ob das auch so gemeint ist?
Beim Brötchenholen begrüßt mich der Verkäufer mit einem schnodderigem: " Haste denn vorbestellt?". Beim anderen Bäcker dann eine Schlange bis hinter Blankenese, der dritte Laden geschlossen. Das heißt: keine Brötchen am ersten Ulaubsmorgen. Tief aus der knurrenden Magengegend kocht Ärger empor. Das Einzige was dagegen hilft, ist mit Vollgas durchs leere List zu rasen - herrlich!
Danach schmeckt das von meiner schlauen Frau von zuhause mitgebrachte Toastbrot richtig lecker. Bis ich mich verschlucke. Weil die digitale "Morgenzeitung" Unheil verkündet, als wären wir Hiob. Die Schlagzeilen der vier Boten lauten:
1. Touristen-Ansturm zu Pfingsten: Wird Sylt das zweite Ischgl?!
2. In Kampen stieg die Mega-Party mit 3.000 Feierwütigen dicht an dicht. Folgt nun die Strafe?
3. Nun ist es passiert: Ein Sylter Wirt wurde Covid-postiv getestet. Gott steh uns bei!
4. In den Morgenstunden nach dem Hedonisten-Exzess fand man eine "nackte tote Frau" im Sand. Oh weh, welch böses Omen!
Wahnsinniges Sylt! .... Drehen hier jetzt alle durch?
Zum Glück betreffen uns die schlechten Nachrichten nicht. Denn List liegt eigentlich außerhalb von Sylt! Genau deshalb wählten wir diesen Ort und nicht Westerland oder Rantum. Nördlich von Kampen bei der Vogelkoje verläuft nämlich die unsichtbare Grenze zwischen dem deutschen Sylt und dem dänischen Listland. Dort befindet sich alles Land im Privatbesitz der Dänen, seit Jahrhunderten nach dänischem Erbrecht geregelt. Der preußische Fahradvermieter und Blockwart aus Westerland hat hier oben also nichts zu bestellen.
Das weiß auch die Verkäuferin im Edeka: Als meine Frau an der Kasse fragte, ob sie hier mit ihrer Deutschland- Card Prozente bekommt, meinte die Listerin nur: "Deutschland Card? Nö!" Ich sagte: "Siehste, weil wir hier nicht in Deutschland sind." und die Verkäuferin draufhin:
"Nö, wir sind hier in Dänemark."
Am Ende musste ich dort doch nur "klein". Und List liegt nicht im hyggeligen Königreich sondern in der BRD!
Dort stehen wir am nördlichsten Kiosk des Landes vor abgesperrten Strandkörben. Gestreiftes Flatterband als kreischende Warnung.
Auf dem Weg zum Strand liegen überall Gerätschaften aus Metall und Holz herum, wie auf einer rumänischen Baustelle. Auch der eigentlich schöne Weststrand bietet einen desolaten Anblick. In der Holztreppe, die hinunter zum Strand führt, klafft eine große Lücke. Durch Sturmfluten zertört, hat man es einfach nicht geschafft sie rechtzeitig zum Saisonstart wieder flott zu machen.
Ein verlorenes Grüppchen Strandkörbe drückt sich verschämt in den hintersten Winkel des Strandes und starrt mit dem Rücken zum Meer traurig auf den sandigen Dünenhang drein. Der Weg zum Wasser wird von eine rostige Pipeline versperrt. Bagger und Kettenfahrzeuge wühlen sich dröhnend durch den Sand und hinterlassen hässliche Spurrillen. Es wirkt ein wenig wie in einem Tagebau, handelt sich aber um eine Sandaufspülung, die noch einige Wochen andauern wird.
Ein Fazit am ersten Urlaubstag: Auf Urlauber ist man hier überhaupt nicht eingestellt, weder beim Bäcker noch am Strand. Die Hiobsbotschaften in den Medien ließen sich übrigens nicht verifizieren. Offenbar Fake News ... Teufel auch! Wer schreibt sowas und zu welchem Zweck?
Es heißt, dass man es ohne Tischreservierung gar nicht erst zu versuchen braucht. Wegen der Corona Auflagen.
Das Restaurant "Zum Königshafen" ist bereits für die komplette Woche ausgebucht. Doch der Hunger treibt uns in Richtung Hafen. Ähnlich wie die lungernden Möwen hoffen wir, dass sich uns irgendwo durch nachlassende Achtsamkeit Anderer eine Chance auftut. Und tatsächlich! Eine im Hafen vertäute Dreimastbark hatte sein Fallreep ausgefahren. Wir zögern nicht und überwinden rasch das Schanzkleid. An Board freut man sich wahrhaftig über Laufkundschaft und empfiehlt uns das Oberdeck.
Gelassene Heiterkeit auf Back und Vorpiek unter den Gästen und der Mannschaft.
Trotz aller Auflagen gelingt es der Crew eine wohltuende Normalität herzustellen - ohne Panik und Peitsche aber mit Herzblut und Professionalität. Da es laut Gesetz nur einen Boardzugang geben darf, gibt die Chefin am Achterdeck bestimmt aber freundlich entsprechende Ansagen. Es mache ihr ja überhaupt keinen Spaß, den Aufpasser zu spielen, klagt sie uns ihr Leid. Doch dreimal am Tag käme hier das Ordnungsamt, während die kleineren Boote kaum kontrolliert würden. Wir wünschen ihr stets eine handbreit Wasser unterm Kiel und besuchen diesen charmanten Segler möglichst jeden Abend!
Nun haben wir diese Insel schon oft und zu verschiedenen Zeiten erlebt. Doch diesmal scheint Sylt nicht wirklich Sylt zu sein sondern bloß eine blasse Kopie seiner selbst. So eine drückende Windstille und Wärme dürfte hier draußen gar nicht vorkommen. Die offene Nordsee am Weststrand liegt glatt und gleißend darnieder wie eine Decke aus geschmolzenen Blei. Das Baden macht überhaupt keinen Spaß und das Licht schimmert so blass wie sonst nur im Binnenland, alles so farblos und fad. Eine merkwürdige Stille und ein dunstiger Himmel drücken auf die Stimmung.
Plötzlich durchdringt ein tiefes Wummern die stille Luft. Es scheint den Eingeweiden des Meeres zu entstammen und fühlt sich an wie Detonationen. Im Minutenabstand immer dreimal kurz hintereinander: Bumm, Bumm, Bumm. Als ob eine Kriegsfront näher rückt. Was auch immer dieses markdurchdringende Wummern verursacht: In einem Schutzgebiet für Wale dürfte so etwas niemals passieren. Skandalös!
Alles wirkt befremdend und unwirtlich. Schön wird es immer erst Abends zwischen 21 und 23 Uhr am Königshafen. Wenn die tiefstehende Sonne das glatte Wasser dieser Bucht in warme Farben taucht. Umgeben von Vögeln und Schafen genießen wir allabendlich die kontemplative Ruhe. Außer am vorletzten Abend bei Dauerregen: Da waren wir heilfroh, als man uns Zuflucht an einem Tisch im gemütlichen Unterdeck anbot.
Vielleicht eine Täuschung, aber am diesem sechsten Abend fühlt es sich (bei einem Steinbeißerfilet an Trüffelstampf mit Safran Sauce) so an, als ob die Taue gekappt sind und sich das Restaurant vom Land entfernt hat. Der alte Kapitän, der als einziger eine roten Mütze tragen darf, dirigiert seine Mannschaft und befiehlt, in den Wanten vierkant zu brassen. Aber eigentlich braucht die eingespielte Crew, die ihren betagten Schiffsführer zwar achtet aber auch ein wenig belächelt , gar keine Anweisungen. Von der Kombüse bis hoch in die Rahen greift ein Rad in das andere. Eine perfekt geölte Maschinerie, deren rhytmischer Klang der Betriebsamkeit einlullt und entspannt. Die tief klingenden Befehlsrufe der Mannschaft, das Klirren von Gläsern und Geschirrscheppern werden unterlegt von Stimmengewirr und Lachern der vielen Gäste.
Die Welt da draußen scheint weit entrückt.
Als wir satt und zufrieden anlegen und von Board gehen, hat sich Sylt gewandelt und ist am nächsten Morgen endlich wieder normal. Eine frische Brise treibt Wolken von Westen über die Insel, dazwischen klarstes Blau. Wie nach einem Fensterputz in der Frühjahrssonne wirkt die ganze Atmosphäre gesäubert und klar. Und das Beste: Das Meer rauscht wieder, endlich Wellen. Als wir frühmorgens um 10 Uhr als erste auf den Parkplatz an der Weststrandhalle rollen, sind es statt der gefühlten 30 Grad vom Vortag nur noch herrliche 11 Grad. Tiefenentspannt und mit unverstellter Heiterkeit empfängt uns der Parkplatzwächter, als wären wir gute Freunde aus dem Ausland, deren Ankunft man herbeigefiebert hat. Der letzte Rest Melancholie verfliegt, während wir fidel wie junge Schlittenhunde den ganzen Strand hoch bis zur Nordspitze des Ellenbogens und zurück laufen.
Abends vom alten Kapitän verabschieden- dem Herrn Gosch und seiner großartigen Fischbude am Lister Hafen. Ich hätte an dieser Stelle auch über schnöselige Gäste oder das Essen lästern können. Doch verbietet sich jedes Wort des Tadels über dieses Etablissement, das wie ein Schiff fernab vom Kontinent auf einer anderen Umlaufbahn zu gleiten scheint. Gosch hat unseren Urlaub gerettet!
Sollte jemals eine dahergelaufene "Landratte" Anstoß daran nehmen, dass der alte "Seebär" in seinem Reich und Refugium keine Mund-Nasen-Schutz trägt oder dass zu viel Gäste auf einer Bank sitzen, dann werfe man diesen Meuterer von Board oder lasse ihn Kiel holen!