Ein tropisches Dorf duckt sich zwischen die Palmwedeln am Rande des Dschungels. Wie Schildkröten schlurfen die Bewohner gemächlich von einer Ecke zur anderen, aber nie mehr als 30 Meter am Stück. Links und rechts der hitzebrütenden Sandpisten winken ulkige Orte zu einem anregenden Intermezzo des Müßiggangs.
Da ich das Kunststück vollbrachte, mir am wärmsten Ort meiner Reise eine Erkältung einzufangen, schlenderte ich zur Apotheke.
Erstaunlicherweise standen die Leute bis nach draußen Schlange und bildeten die größte Menschenansammlung des Ortes. Nur langsam ging es voran. Als ich endlich bis in den Laden hinein aufrückte, sah ich auch warum: Die Apotheke war gleichzeitig die Arztpraxis und jeder wurde der Reihe nach direkt vor Ort behandelt. Das heißt auf einer Pritsche mitten in einer Art Krämerladen aus dem 19. Jahrhundert und das Beste: vor den Augen aller Wartenden.
Neugierig verfolgten wir wie der Arzt-Apotheker bei Manolo die Lunge abhorchte, beobachteten gespannt wie weit der Zeiger des Blutdruckmessgerätes bei dem älteren Herren ausschlug. Gebannt und ohne mit der Wimper zu zucken, schauten wir hin, als vor uns eine Oma blankzog und der Doktor ihr eine Spritze in den Hintern drückte. Alles ganz normal in Buena Vista. "Der nächste bitte!"
Einzig ich verweigerte mich der Aufforderung des Arztes und machte mich nicht frei. Ich wollte einfach nur Tabletten gegen meine Erkältung, auch wenn ich nicht an die Wirksamkeit der Mittel aus dieser fliegenverseuchten Rumpelkammer glaubte. Doch schon am nächsten Tag war meine Erkältung so gut wie verschwunden.
Einen wirklich komischen Anblick bietet ein Art Kiosk inmitten der parkähnlichen Zentral-Plaza, auf der in stolzen Lettern geschrieben steht: IRISH PUB.
Ich traute diesem Kontinent mittlerweile fast alles zu, aber dass hier einer dieser Flip Flop Schlurfis bei schwülen 30 Grad Celsius einen dreifach destillierten Single Malt ordert, will nicht in meinen Kopf. Ein Irish Pub im tropischen Regenwald scheint mir so irrwitzig wie eine Eisdiele auf dem Weihnachtsmarkt.
Bewacht wird der Pub übrigens von einem kapitalen Jaguar, der zum Sprung ansetzt und sich nüchtern betrachtet als Telefonzelle entpuppt.
Ein weißer, hagerer Mittvierziger mit einem Flackern in den Augen freute sich in seinem Schuhgeschäft auf den wohl einzigen Kunden des Tages. Auf mich. Ich brauchte ein paar wassertaugliche und rutschfeste Treter für den Regenwald und griff nach einem blauen Paar amphibisch anmutender Halbsandalen. „Diese Schuhe sind aus Brasilien! Sehr gut für den Regenwald“, so der Schuhverkäufer. Dann schlug er sich mit der Hand auf die Brust und sagte: „Ich auch aus Brasilien!" Aha, dann ist „made in brasil“ wohl ein echtes Qualitätsmerkmal, dachte ich und bezahlte die Schuhe mit gemischten Gefühlen.
Dann deutete mir der Kauz noch kurz zu warten, und verschwand hinter dem Fliegenvorhang ins Hinterzimmer. Zurück kam er mit einer angeleinten Katze - doppelt so groß wie eine Hausmieze und mit exotischem Fleckenmuster. Als mich das Tier erblickte begann es aggressiv zu fauchen und duckte sich zum Sprung. Lachend hielt der Brasilianer das wilde Tier zurück und bekam von ihm flugs eine blutige Scharte in den Unterarm gerissen. Haha! Der Typ ist irre. Ich gratulierte dem Spacken zu der unsinnigen und artfremden Haltung einer unzähmbaren Dschungelkatze und verließ den Laden mit den neu gekauften Schuhen. So einen Ozelot werde ich später im tropischen Regenwald nicht zu Gesicht bekommen und die brasilianischen Schuhe sollten sich noch als leidvoller Fehlkauf erweisen.
Franzose, Tourenguide, Tiere? Ein Hotspot der Biodiversität, an dem Arten des tropischen Tieflands, der Anden und des Chaco (Trockensavanne) aufeinandertreffen.
Wie paradox. Ausgerechnet der Ort, der vor lauter Lebensvielfalt nur so überquillt, erweist sich für uns als der lebensfeindlichsten überhaupt. Der tropische Regenwald des Amboro Nationalparks. In seinen umrankten Unterhölzer und schlammigen Gewässern streunen und wuseln nahezu alle Tierarten Südamerikas, um von uns entdeckt zu werden.
Einen Tag vor Expeditionsaufbruch soll der Guide auf einem vertrauensbildenden Spaziergang am Ortsrand unsere Bedenken zerstreuen. "Welche Bedenken wir beiden Deutschen denn haben", fragt uns der Guide. Die Urangst des weißen Mannes vor der "Grünen Hölle" scheint ihn milde zu belustigen. Uns plötzlich auch. Wir beschließen die Vier-Tages-Tour. Schließlich macht der Guide mit der für Tiefland-Indianer typischen ebenmäßig-karamellfarbenen Haut einen erfahrenen, zuverlässigen Eindruck. Bis er auf das Kind an seiner Seite zeigt und sagt, dass nicht er, sondern sein jüngster Sohn uns in die Wildnis führen wird.
Während beim Blick auf den geschätzt 12-jährigen Steppke meine Bedenken wie Urwaldriesen in den Himmel wuchern, schickt uns der Große Gott der Grünen Hölle ein Zeichen der Warnung. In Form eines Mosquito-Schwarms, der unsere Hälse innerhalb weniger Minuten in juckende Streuselkuchen verwandelt. Das reicht. Wir ziehen die Konsequenz und sagen dem verdutztem Guide, dass wir keine Dschungeltour buchen.