Leute, die noch nie auf dieser Insel waren, finden diverse Argumente gegen sie: Überzogene Preise, affektierte Schnösel und Society-Schnepfen, außerdem sei Sylt komplett überlaufen und total überschätzt, wie soll man sich da erholen, keine Lust auf einer schmalen Düne in der Nordsee abzuhängen, da fahre ich besser nach Rügen.
Das Komische ist, dass diese Leute sogar recht haben. Wenn sie alle Für- und Gegenargumente rein quantitativ aufaddieren, dann dürften sie nicht nach Sylt fahren. Ja genau, Punktsieg für Rügen. Ihr könnt jetzt auch wegklicken und Binz buchen.
Doch eine winzige Sache hat der rational planende Kopfentscheider außer Acht gelassen: das Meer.
Das Meer vor Sylt kann einen umhauen, in doppeltem Sinne.
Seine tosende Brandung und sein jodhaltiger Atem legen ein Veto. Sie durchbrechen jede Argumentationskette für Rügen oder Norderney.
Alleine das Meer spricht für Sylt.
Man muss nur irgendeinen der 38 Kilometer Weststrand entlanglaufen, um sich endgültig für oder gegen Sylt zu entscheiden. Genau das, was den einen magisch anzieht, verleidet dem anderen den Aufenthalt, lässt ihn an die Ostsee flüchten – das Reizklima.
Besonders im Winter schlenderst du am Sylter Strand nicht einfach durch ein laues Lüftchen pfeifend vor dich hin. Nein, du kämpfst mit deiner Trägheit gegen allerlei Widerstände. Dabei wird dein gesamter Körper gemangelt und gewaschen. Beißender Wind zerrt an deiner Haut, erschwert dir das Gehen und Sprechen, gleißendes Licht sticht dir in die Augäpfel, dringt durch deine blassen Hautschichten, aktiviert jede Zelle deines Körpers. Das pausenlose Knallen und Grollen der Brandung drückt auf dein Trommelfell, du spürst die Vibrationen bis tief in die Brust. Aerosole aus der Gischt fegen hinein in Nebenhöhlen, legen sich wohlig an die Kapillargefäße der Lungen und an die Schleimhäute, deine Nase beginnt zu laufen.
Dazu ein Zitat des vielleicht größten Sylter Inselpoeten, dessen Namen ich noch zurückhalten möchte:
"Oh ja, das ist Sylter Reizklima
Und wem das Wetter nicht gefällt
der kann ja abhau'n mit seinem Geld"
Im Sommer zeigt sich die Natur wesentlich zahmer, dafür kann man direkt eintauchen in diesen fetten Wirlpool, mitten in die Brandung – zum Spülgang. Am Ende des ersten Tages auf Sylt hat man einen Mordshunger und ist unendlich müde - und glücklich.
Man vermutet dass diese Urkräfte der Natur am Sylter Strand Stoffe frei setzen, die die Morphinproduktion anregen und letztlich abhängig machen. Hat der Mensch die Insel verlassen, sinkt sein Morphinspiegel, es kommt zu Entzugserscheinungen verbunden mit Unruhe, Platzangst und dem Wunsch, sofort wieder zurück zu wollen, zurück an den Sylter Weststrand. Lieder wie „Westerland“ von den Ärzten sind ein klarer Ausdruck dieser Sucht.
Viele große Künstler und Poeten haben versucht die enorme Anziehungskraft dieser Insel zu beschreiben und das Mysterium ihrer Syltsucht zu ergründen. Doch niemandem ist das bisher so gut gelungen wie dem Bambus-Klaus in seinen Liedern:
"Ich bin so gerne auf Sylt, weil es mir dort so gut gefällt
und laufe manchmal am Strand von List bis Westerland
in dem geilen weißen Sand
Und auch das tobende Meer, das fasziniert mich immer sehr
Denn da kann man gut reinspringen, in den Wellen mitschwimmen
Was will man denn noch mehr"
Auf keinen Fall will man auf Sylt künstlerisch hochwertige Literatur verfassen. Das ist bisher noch keinem gelungen. Von Theodor Storm über Thomas Mann, Fontane, Zweig bis Grass - an Sylt sind sie alle gescheitert. Alle bis auf Bambus Klaus. Denn dieser Klaus hat erkannt, dass einem die offene Sylter Landschaft zum ständigen Hinschauen und hautnahem Erleben zwingt, und dass man den Zauber dieser Insel nur mit Hilfe der direktesten, einfachsten Sprache festzuhalten vermag.
Zum Beispiel so:
"Auf einer Insel eben, da kann man viel erleben
und ohne Anziehsachen am Strand doch so viel machen."
Ich möchte aber noch hinzufügen, dass nicht nur der Strand, sondern auch die Dünen total super sind.
Ein richtiges Gebirge ist das - mit Tälern, Höhenzügen und Panoramablicken, wie es sie höchstens noch im Wilden Westen gibt.
Sylt hat von allen deutschen Küsten, die mächtigsten Dünen. Besonders im Listland des Sylter Nordens findet man sich umringt von vielen 3000ern - wenn man sich die Freiheit nimmt und in cm misst. Auf jeden Fall fühlt man sich dort frei.
Eine Besonderheit der Dünen auf Sylt ist, dass sich manche von ihnen bis ins Meer auf der östlichen Seite hineinschieben. Norden und Süden der Insel bestehen im Grunde komplett aus Dünen.
Nicht zu vergessen sind die Surfer - und damit meine ich die Wellenreiter.
Ich zitiere Bambus-Klaus:
"Und auch die Surfer mag ich sehr, die surfen immer hin und her"
Sylt ist der einzige Ort Deutschlands, an dem sich das Wellenreiten wirklich lohnt. Nur hier gibt es häufig genug geeignete Brandungswellen.
Eine Insel weiter südlich, auf Amrum, funktioniert das schon nicht mehr. Da liegt eine Sandbank davor, die den Wellen die Kraft nimmt. Außerdem ist das Wasser vor dem Strand zu flach und die Brandungszone zu breit, genau wie vor St. Peter Ording.
Bleiben die ostfriesischen Inseln, aber deren Strände sind nicht so schön nach Westen ausgerichtet. Allenfalls auf Norderney und Borkum soll an einigen Stellen manchmal Wellenreiten möglich sein.
Eines sollte man auf Sylt aber auf keinen Fall vergessen.
Ich meine jetzt nicht die Sonnenbrille oder das nötige Kleingeld, ich meine die Ostküste.
Surfer bezeichnen das Meer zwischen Festland und Insel gerne als Schlammloch. Aber die Ostküste ist auch kein Badestrand sondern der landschaftlich abwechslungsreichste Abschnitt der gesamten Nordseeküste mit einer erstaunlich hohen Biodiversität.
Man kann die Ostseite der Insel nicht beschreiben, man kann sie nur entdecken. Selbst der gute Bambus-Klaus belässt es in seinen Texten bei einer Andeutung:
"Nach Hörnum kann man laufen, in Kampen was einkaufen,
in Wenningstedt was essen
Mensch, Archsum hätt ich fast vergessen"
Und genau dieses Archsum liegt tief verborgen im Osten der Insel.
Soweit der grobe Überblick zu Sylt.
Und zwar ein ziemlich grober, denn viel mehr als dass diese Insel schön ist, habe ich bisher nicht verraten.
Einige tiefere Einblicke geben die Geschichten auf der folgenden Seite - so genanntes Insider-Wissen. Zum Beispiel dass Sylt auf Syltisch 'Sünhair' heißt. Das wissen sonst nur wenige eingefleischte Sylt-Kenner wie der schlaue Bambus-Klaus. Und mit einem Zitat von ihm möchte ich auch schließen:
"Sünhair, Sünhair
Wer dich einmal sah, kommt immer wieder her
Deine Dünen, Deine Luft, Deine Strände und Dein Meer
Schöne Insel, wir lieben Dich so sehr"