Überführungsetappe. Mit dem Fiat 500 in vier Stunden diagonal die gesamte Bretagne queren - vom Nordosten nach Südwesten bis Douarnenez. Die Kaffeepause in einem Bergdorf in den Monts d'Arrée offenbart zwei Dinge: Zum einen hat hier jedes Kaff wenigstens eine Kneipe und zum anderen ist die gesamte Bretagne in Wahrheit ein einziges Gebirge. Sichtbar wird das an den Rändern, die im Meer versinken und auf dem Hauptkamm, der gleichzeitig eine Klimascheide bildet. Wer wie ich von der Nordküste kommend den Kamm überquert und dann das erste Mal die wärmere und trocknere Südküste erblickt, der bekommt plötzlich dieses freudekribbelnde Urlaub-Im-Süden-Gefühl. An den Steinmauern wiegen die tropischen Blattwedel von Bananenpflanzen im Wind und die Bucht von Douarnenez strahlt viel blauer und luzider als der Ärmelkanal.
Douarnenez ist eine maritime Offenbarung. Drei Häfen, eine Flotte Hochsee-Trawler und eine tiefblau bis türkis leuchtende Meeresbucht - randvoll mit Fisch, weil sich hier warme und kalte Meeresströmungen mischen. Auch der Fluss, der gerade wie ein Wildwasserkanal zurück in die Bucht strömt, scheint ein gutes Fischrevier zu sein. Dort sehe ich einen merkwürdigen Angler im Wasser stehen. Behutsam schwenkt er ein gut 60 cm langes Prachtexemplar im Wasser vor und zurück. Als ob er den Fisch reanimieren will. Und genau das tut der Angler auch. Dann lässt er ihn schwimmen und meint, der wäre ihm zu klein. Gestern habe er einen doppelt so großen gefangen.
Nun sollte man meinen, dass der Fisch in den Restaurants hier überall exzellent sein muss. Aber das muss er nicht. Den Fisch auf meinem Teller hätte man entweder richtig zubereitet oder noch besser: reanimiert und ins Meer gesetzt.
Unterwegs ans Ende der Welt. Hinaus zum äußersten Zipfel der Halbinsel Sizun. Wie eine Speerspitze ragt sie 30 Kilometer in den Nordatlantik.
Je näher man dem Ende kommt, umso niedriger ducken sich die Natursteinhäuser in die immer höher wuchernden Hortensien. Im letzten Dorf ragen die Blüten fast bis zum Dachfirst hinauf. Dann nur noch Büsche, Fels und Heide - drei Seiten blicken auf den Ozean. Der perfekte Ort für die schönste aller Tagesroutinen - fast schon ein Ritual: Auf einem Schotterparkplatz hoch über dem Meer den Motor ausstellen, Tür auf, die frische Meeresluft atmen, raus aus den Sneekers, Treckingschuhe an, Daypack auf, Kamera startklar und los. Nicht gleich zur berühmten Pointe du Raz, sondern erstmal weitab der Touristenscharen durch die bunt leuchtenden Heideflächen des Nachbarkaps der Pointe du Van stromern.
Erfreulicherweise endet die Straße einen Kilometer vor dem Kap. Das letzte Stück lässt man der Natur - und den Touris in Turnschuhen. Alle strömen dem Ende entgegen und blicken am finalen Punkt des Wanderwegs von einer Felsplattform auf einen gut 300 Meter langen, schmalen Granitgrat, der steil zum Meer abbricht - dem eigentlichen Ende. Dahinter kommt noch ein Felsen im Meer und nach diesem Ende noch ein Leuchtturm. Weiter draußen schwimmt ganz flach die Insel Seine und ganz dahinter sind noch weitere Felsen ins Meer gekleckert. Und irgendwo dahinter blinkt ein letzter Leuchtturm ganz weit draußen im Nirgendwo.
Wie das Matterhorn als Berg der Berge hoch und schmal aufragt, so beschreibt die Pointe du Raz die dramatisch-wilde Idealform eines Kaps.
Hinter dem Geländer des offiziellen Weges erweist sich der Felsgrad als als wunderbar griffig. Ich muss weiter hinaus auf die Nadelspitze. Ein Stück runter, näher ran an Poseidons Whirlpool, der selbst bei diesem ruhigen Wetter um die Granitfinger der Pointe heftig schäumt und brodelt. Während ich hier auf der Suche nach einer Position für mein Kamera-Stativ (ein Reissack) langsam und vorsichtig kraxele, sehe ich einen lebensmüden Alten. Auf einem schmalen Sims in einer Steilwand, die senkrecht zum Meer abfällt. Mit Gummistiefel und einer Angelroute in der Hand wirkt sein Manöver in diesem Klettersteig unfassbar riskant. In den gewaltigen Strömungen um die Kapspitzen müssen wohl sagenhafte Fische hausen.
Der Fischereihafen von Douarnenez hat immer geöffnet. Jeder Tourist darf zwischen den palettenbeladenen Gabelstaplern einfach übers Industriegebiet latschen und den Männern bei der Arbeit zusehen - herrlich! Für die täglich 800 mit Sardinen voll beladenen Fischerboote bin ich zu spät - so etwa 150 Jahre. Manche Boote aber scheinen fast aus dieser Zeit zu stammen. Die Gebrauchtspuren an den Kähnen sind auf jeden Fall nachhaltig und fotogen.