Das maritime Nonplusultra der Bretagne!
Ein Blick auf die Karte zeigt warum. Wenn irgendwo in Frankreich die Brandung mit dem Fels so richtig derbe Rock'n Roll tanzt, dann hier.
Mehr Meer geht nicht. Glückselig schätzt sich der Maritim-Fan, wenn er wenigstens einen Übernachtungsaufenthalt auf diesem Felsklotz im Atlantik buchen konnte.
Von Le Conquet ganz im Nordwesten geht die Nachmittags-Fähre, die ich eigentlich direkt ansteuern will.
Just in dem Moment als ich im Kreisverkehr Richtung Brest und Le Conquet einbiegen will, sehe ich mich die Ausfahrt nach Crozon nehmen. Es ist total verrückt, den stundenlangen Weg dort hinaus und wieder zurück zu karren, nur um für eine Stunde am erstbesten Kap dort herumzuturnen. Aber die Ausblicke und Eindrücke sind es wert. Die benachbarte Pointe de Penhir dürfte noch schöner sein als die Pointe du Raz. Die Strände im Süden gigantisch, Heide und Felsformationen dahinter stille Pinienwälder. Ich beginne Urlaubspläne für Crozon zu schmieden.
Merkwürdigerweise zeigt sich die Landschaft im äußersten Nordwesten so flach und langweilig, dass man umkehren möchte bevor man einschläft. Wer durchhält, wacht in Le Conquet wieder auf. Das alte Piratennest bezirzt mich nach 2015 bereits zum zweiten Mal mit seiner Mischung aus rau und pittoresk. "Seebär" trifft auf Tourist. Das liebliche Wäldchen in den Hügeln kontrastiert mit der kargen Felsküste. Es scheint als rutscht das Ende des Festlands hier einfach so schräg ins Meer. Im Naturhaften schaukeln mehr Fisch-Trawler als in Douarnenez. Junge Männer entladen Hummerkästen.
Et Voila! Nach sieben Tagen Flaute hat der Wind pünktlich zur Überfahrt nach Ouessant aufgefrischt und drischt fleißig Schaumkronen. Für manche zum kotzen. Doch wer so geschlaucht und körperlich am Ende ist wie ich (seit Douarnenez erkältet), der verzichtet besser auf eine Tablette gegen Seekrankheit und stellt sich mit einem Ingwer-Bonbon im Mund aufs Deck. Die 1,5 stündige Fahrt genießen. Zu den vorbei treibenden Felsen schauen, auf denen Kormorane ihre schwarzen Schwingen zum Trocknen von sich strecken. Der Ausspruch "Wer Ouessant sehen will, muss Blut sehen" erscheint bei diesem harmlos sonnigen Bootsausflug als Seemannsgarn.
Bis mir ein vollbärtiger Alter das Livebild seines nautischen Navi-Geräts begeistert vor die Nase hält. Erst dort erkennt auch der Laie, wie krass und knapp der Skipper die Fähre zwischen die felsigen Untiefen manövrieren muss, damit hier alle unversehrt bleiben. Eine Meisterleistung. Dieser Irrgarten aus Untiefen, dazu die Tide und extreme Strömungen, machen diesen Teil der Keltischen See zu einem Schiffsfriedhof.
Hinter der bewohnten Ile de Molene dann endlich ein paar echte Meereswogen. Das kurze aber stabile Kraftpaket der Hochseefähre rutscht in ein Tal und wird dann wird dann schwungvoll hochgedrückt, drei, vier mal, dann ruhiger.
Auf dem Mer d'Iroise durch eine glitzernde Zwischenwelt rauschen. Die Hochsee des Ozeans umarmt hier die spärlich versprengte Außenposten eines Kontinents. Am äußeren Rand verblüffen dann die maritimsten Bauwerke, die es auf dieser Welt zu bestaunen gibt: Leuchttürme. Wundersam und desperat ragen sie mitten aus dem Meer empor.
Liebevoll nennen die Ouessanter ihren 5 mal 7 Kilometer großen Außenposten "Pen ar Bed" - zu deutsch: Anfang der Welt.
Tatsächlich ist Ouessant im Vergleich zur übrigen Bretagne eine komplett andere Welt. Das kann man spüren, wenn man sturztrunken von nur einem Bier in die Koje krabbelt und nach einer Nacht Supertiefschlaf auf diesem Frischluftfelsen wie neu geboren erwacht. Mit einem Riesenappetit auf Frühstück und Heißhunger auf eine Küstenwanderung .
Noch bevor Tagestouristen eintreffen, wandelt man als erster Mensch durch eine Landschaft die aussieht wie die Welt zu Anbeginn der Zeit. Haushohe Felsen. Der Schwerkraft trotzend streben sie mit ihren zerfransten Spitzen in schräge Winkel empor, als wären sie in der Explosion erstarrt. Mal fein ziseliert, mal glatt und rund gezogen wie Stalaktiten, mal wie zu Bündel langer Quader gewachsene Kristalle.
Nach zwei Stunden den ersten Menschen treffen - einen drahtigen Alten mit Rauschebart. An der Westküste zwischen der Pointe de Perm und dem Phare de Creac'h erwartet diesen Glückspilz das ultimative Spektakel - in Form einer ewigen Daueraufführung.
In den Hauptrollen spielt ausdrucksstark die tobende Brandung (hier auch bei wenig Wind stets in Hochform) zusammen mit ihrem kongenialen Partnern, den Felsen und den im Meer errichteten Leuchttürmen.
Ruinen, Dolmen und Strandgut zur Dekoration. Seetang verströmt seinen betörenden Duft über die gesamte Insel-Arena. Seevögel als Nebendarsteller, Gastauftritte von Fischerboote. Und als endemischer Special-Guest schütten die angriffslustigen Ouessant-Schafen Würze in dieses fantastische, supermaritime Schauspiel. Bravo Ouessant!
Darauf eine Meeresfrüchteplatte - wenn nicht hier wo dann!
Übrigens ist die Insel zu groß, um sie zu umwandern. Aber das macht nichts: Die selbstbewussten Inselfrauen, deren Männer auf See sind, chauffieren einen gerne in ihrem alten Rostlauben. Schicke Autos gibt es auf Ouessant genauso wenig wie Haustürschlüssel.
Das ist alles sehr erholsam. Wer nur ein bisschen krank ist, braucht nicht nach Lourdes zu pilgern. Eine Nacht und ein Tag auf dieser Insel und man ist geheilt.